Große Herausforderungen hat eine neue Bundesregierung vor allem in der Gestaltung der internationalen Beziehungen zu meistern. Nicht nur im transatlantischen Verhältnis liegt zurzeit Einiges im Argen. Auch das unterkühlte Verhältnis zu Russland unter Putins zweiter Präsidentschaft muss –entsprechend der historischen und wirtschaftlichen Bedeutung beider Länder- wieder zu einer gut funktionierenden partnerschaftlichen  Beziehung entwickelt werden.

In den letzten Monaten stagnierte das deutsch-russischen Verhältnis auf vielen traditionellen Feldern. Als tiefere Ursachen hierfür werden die sich häufenden „Missverständnisse“  auf  beiden Seiten, „Mangel an Kommunikation“ und das Fehlen „politischer Persönlichkeiten“, die in der Lage sind, mithilfe neuer politischer Konzepte einen Ausweg aus den „festgefahrenen“ Beziehungen zu finden, angeführt. Eine politische Persönlichkeit, die in historischen Bahnen denkt, sollte in der Lage sein, die verschiedenen Gesellschaftsschichten aktiv in den Aufbau des Landes und seiner wachsenden Rolle im internationalen Kräftespiel entsprechend „einzubinden.“ Dies setzt eine glaubwürdige Dialogfähigkeit voraus, die z.B. bei der Gestaltung der neuen „Ostpolitik“ wesentlich zum Erfolg des damaligen SPD-Kanzlers Willy Brandt beitrug. Dies gilt ebenso für den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, dessen Nachfolger Gerhard Schröder und den ehemaligen deutschen Außenminister Frank -Walter Steinmeier. Diese trugen in besonderer Weise dazu bei, die deutsch- russischen Beziehungen konstruktiv auszubauen. In einem Hintergrundgespräch zwischen der Autorin des Artikels und einem gut informierten Beobachter gegenwärtiger russischer Befindlichkeiten wurde auf diese Aspekte hingewiesen.

Ein interessanter Neuansatz für eine Belebung des deutsch-russischen Dialogs stellt die Gemeinsame Erklärung der Teilnehmer der Arbeitsgruppe „Wirtschaft“ des Petersburger Dialogs dar.  Diese trafen sich am18./19. Oktober zu einem Arbeitstreffen am Tegernsee. In einer 10- Punkte Erklärung  betonten die Gesprächsteilnehmer, darunter Dr. Horst Teltschik (ehemals Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz und Vizekanzleramtschef unter  Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, Dr. Klaus Mangold (ehemals Vorsitzender des BDI Ostausschusses) sowie eine Gruppe führender russischer Unternehmer die Wichtigkeit eines Neustarts  in den deutsch- russischen Beziehungen. Sie sprachen von einer Gefährdung der deutsch- russischen Wirtschaftsbeziehungen durch die anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise sowie durch unzureichende politische Kommunikation. So sei die Zahl deutscher Unternehmen erstmals seit vielen Jahren auf aktuell rund 6.000 zurückgegangen, während die Investitionsneigung sinke und das Handelsvolumen zurückgehe. „Belastbare deutsch- russische Beziehungen sind gut und wichtig für Europe“, hieß es in der Erklärung. “Enge Wirtschaftskontakte zwischen unseren Ländern fördern das europäische Wachstum.  Die Voraussetzung ist ein stärkeres Vertrauen und die Verbesserung der Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen Austausch auf  bilateraler und europäischer Ebene.“

Gemeinsamer Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok

Es war die Rede von der Notwendigkeit neuer „Impulse“  für die „vereinbarte Modernisierungspartnerschaft“: „Ein wichtiges Element zur Förderung der Modernisierungspartnerschaft wäre  eine vertiefte Zusammenarbeit  im Rohstoffsektor. Dafür ist vor allem der Aufbau der wissenschaftlich- technologischen Kooperation beider Länder von Bedeutung. Die geplante Gründung der Russisch- Deutschen Ressourcenuniversität  durch die TU Bergakademie Freiberg und die Nationale Universität für mineralische Ressourcen St. Petersbug im Rahmen des Deutsch- Russischen Rohstoffforums sollte aktiv durch beide Regierungen unterstützt werden.“

Neben der Förderung des Mittelstandes, dem bilateralen Austausch von Studenten und Wissenschaftlern durch z.B. gemeinsame Nutzung von Speziallaboratorien, Stipendienprogrammen, sowie der Förderung von  Praktika in deutschen und russischen Unternehmen, forderte die Erklärung auch eine Aufwertung  des deutsch- russischen Jugendaustauschs. Deutschland könne eine wichtige Vermittlerrolle einnehmen und dazu beitragen, den festgefahrenen Visaverhandlungsprozess zwischen Brüssel und Moskau wieder voranzubringen. Daher brauche man eine neues Partnerschaftsabkommen und Visa Freiheit zwischen Russland und der EU. „Langfristig streben wir einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok an, ohne Zoll- und Visahürden  und frei von Protektionismus.“

Russlands geopolitische Rolle und Spannungen an seiner Südflanke

Auf dem Hintergrund dieser Entwicklungen sollte man einen Blick auf zwei strategisch bedeutsame Entwicklungen werfen, die wichtig für die Entwicklungen in Russland sind: Zum einen Russlands diplomatische Rolle in der jüngsten Syrienkrise und die Frage, welche Auswirkungen die Syrienkrise auf Russland im Sinne der Gefahr eines Übergreifens radikaler islamistischer Aktionen auf russisches Territorium hat. Zum anderen sind es interne russische wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen, die neue Konzepte von der gegenwärtigen russischen Führung erfordern.

Bei einem Selbstmordanschlag in der russischen Stadt Wolgograd hat nach bisherigen Erkenntnissen eine Frau am 21.Oktober in einem Bus einen Sprengsatz gezündet, der 5 Menschen in den Tod riss und 30 Verwundete hinterließ. Der Anschlag soll von einer sogenannten „ Schwarzen Witwe“ verübt worden sein, der Ehefrau eines ehemaligen Bandenführers. Sie sollen einem terroristischen Netzwerk von Dschihadisten angehören, deren Ziel es ist, ein von Moskau unabhängiges  Kaukasus -Emirat zu gründen.  Der Terroristenchef des russischen Konfliktgebietes im Nordkaukasus, Doku Umarow, hatte vor kurzem mit Attentaten gedroht. Das Ziel sei, die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi zu verhindern. Wie im Gespräch gegenüber der Autorin kommentiert wurde, finden solche Anschläge derzeit nicht nur in Wolgograd, sondern auch in Stawropol und anderen nicht nur im Süden Russlands gelegenen Städten statt. Auffällig –und für den muslimischen Teil der dortigen Bevölkerung besonders bedrohlich- war die Tatsache, dass in den letzten Jahren   viele gemäßigte Mullahs umgebracht wurden. Die Sorge des russischen Präsidenten Putin  und seiner Entourage richtet sich auf die Gefahr einer wachsenden Islamisierung  durch radikale islamistische Kräfte im Süd- und Nordkaukasus.

Unter Präsident Putin, so der Beobachter, habe der Militär- und Geheimdienstapparat eine Stärkung erfahren, was zu einem gewissen Grade zur Stabilisierung des Landes beitrage. Zugleich aber wurde auf andere Entwicklungen innerhalb der russischen Gesellschaft hingewiesen, die es zu lösen gilt: Ein Rückgang des Mittelstandes, die Landflucht, die teils korrupten bürokratischen Strukturen und eine chronische Unterentwicklung im Erziehung- und Gesundheitsbereich. Die von Präsident Putin und einigen seiner Berater in der Öffentlichkeit stark medial beschworene „9. Mai Siegesparade“ verrate ähnlich wie die aktionistisch erfolgte Überprüfung wohlbekannter deutscher Stiftungen wie der Konrad- Adenauer- Stiftung  auf eventuelle ausländische Agententätigkeit, eine „gewisse Sterilität“ und Ratlosigkeit im Umgang mit kritischen Stimmen. Es signalisiere einen gewissen Mangel auf Seiten der russischen Führung, eine „neue Identität“ für die russische Gesellschaft zu schaffen. In seiner Rede auf dem Waldai- Diskussionsforum (12.-16. September) hat Putin selbst deutlich gemacht, dass mit pragmatischen Ideen alleine die innere Krise nicht zu überwinden sei. Es wies auf die „christlichen Wurzeln“ der russischen Gesellschaft“, dem Zusammenleben verschiedener Nationalitäten und Religionen und deutete an, dass man sich endgültig von der kommunistischen und nationalistischen Ideologie verabschiedet habe. Ein solcher Ansatz ist nötig und muss verbunden  werden mit einer Reform der politischen Institutionen, wie z.B. einer Neuausrichtung der Duma ebenso wie einer sehr viel feinfühligeren Reaktion auf die Bedürfnisse der Jugend von Seiten der politischen Führung und auch kirchlicher Institutionen.

Wie der Beobachter andererseits hinwies, stellt die vorläufige Übereinkunft mit Syrien (Offenlegung und Zerstörung der Chemiewaffen) durch Präsident Putin und Außenminister Lawrow eine bedeutende strategische Wende dar. Die Übereinkunft der beiden Außenminister (Kerry und Lawrow) in Genf wäre nicht möglich gewesen ohne die sehr entschlossene Intervention von Papst Franziskus und dem Patriarchen von der Russisch- Orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill. Während Papst Franziskus in einem Brief an Präsident Putin, dem Vorsitzenden der G20 Konferenz, diesen dazu aufrief, sich zusammen  mit den Teilnehmern des G-20 Gipfels für eine friedliche Beilegung des Syrienkonflikts einzusetzen, forderte der Leiter der Russisch- Orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill in einem Brief an Präsident Barack Obama diesen auf, sich ebenfalls für eine friedliche Lösung des Syrienkonflikts einzusetzen. Er betonte,  dass die Orthodoxe Kirche Russlands sehr wohl wisse, was der Preis von menschlichem Leiden und Verlusten sei (…) „denn unser Volk hat zwei verheerende Weltkriege, in denen  Millionen Menschen getötet und das Leben vieler Menschen zerstört wurde,  überlebt. Wir betrachten die Verluste, welche das amerikanische Volk nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 erlitten hat, auch als unser Leid.“

Der Umgang mit der Syrienkrise und die vorläufige amerikanische Verschiebung einer „militärischen Strafaktion“ gegen Syrien haben neue strategische Optionen eröffnet. Auf dem Hintergrund der politischen Veränderungen, welche derzeit im Iran stattfinden, könnte ein potentieller „Neustart“ in den Russisch- Amerikanischen Beziehungen (Bestimmung gemeinsamer Interessen in Bezug auf Syrien/ Iran  und eine enge sicherheitspolitische Zusammenarbeit gegen den Terrorismus) „strategische Auswirkungen“ auf die zukünftigen EU/ Russland- und deutsch- russischen Beziehungen haben.

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